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Mittwoch, 4. September 2013

Kressmann Taylor – Adressat unbekannt



 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kein Wort zu viel und keines zu wenig


Dieses Buch ist das Unglaublichste, was mir in letzter Zeit vor die Lesebrille gekommen ist. Ein unscheinbares, schmales Bändchen von einer Amerikanerin, das 1938 erstmals veröffentlicht wurde. Man muss es sich vorstellen: Eine Werbetexterin, die niemals zuvor und niemals danach wieder etwas veröffentlicht hat, schreibt ein literarisches Meisterwerk. Herkömmliche Kriterien greifen bei diesem Buch nicht. Unmöglich zu beschreiben, was passiert, wenn es liest. Ganze 64 Seiten hat das Buch – schnell gelesen, verschlungen, inhaliert, nie wieder ausgeatmet. Und hinterher ist man nicht mehr derselbe.
Unkommentiert durch die Autorin wird der Leser mit 19 fiktiven Briefen konfrontiert. Ausgetauscht von zwei Geschäftspartnern – Freunden gar. Es schreiben sich ein Jude und ein Deutscher. Gemeinsam betreiben sie eine Galerie in den USA. 1932 wandert der Deutsche aus, er möchte fortan wieder in seiner Heimat leben. Ein Briefwechsel beginnt, teilweise freundschaftlichen, teilweise geschäftlichen Inhalts. Der Leser merkt schnell, dass die Freundschaft unter der Trennung zu leiden beginnt. Doch dann schleichen sich ganz leise nationalsozialistische Töne zwischen die Zeilen des Deutschen. Wo seine Briefe zunächst mit „Mein lieber Freund Max“ eröffnen, prangt bald ein „Heil Hitler“ an exponierter Stelle.
Die Heiterkeit, die der Leser beim Genuss der ersten Briefe verspürt, weicht schnell einer ungläubigen Fassungslosigkeit darüber, wie das Grauen in Nazideutschland um sich greift.
Und dann der Schluss. Verwirrend zunächst, bevor das Begreifen ins Hirn sickert. Unerwartet, unglaublich.
64 Seiten! Niemals wurden Freundschaft und Verrat pointierter und spannender dargestellt. Es ist kein Wort zu viel in dieser Geschichte.
Kauft es! Verschenkt es an eure Freunde! Lest es! Lest es unbedingt!

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